Egal ob auf den größten Poetry Slam Bühnen, im Vorprogramm von Jean-Philippe Kindler, in politischen Reels auf Instagram, im Podcast „Nymphe und Söhne“, auf der Bühne beim Klimastreik, in den Politikteilen deutscher Nachrichtenblätter, oder demnächst auf seiner ersten Solotour: Abdul Kader Chahin ist ein Meister im „Ansagen machen“ und was er sagt, will und soll gehört werden. Kolja Fach hat für uns ein Portrait aus der Entfernung geschrieben – für ein langes Interview passiert bei Abdul in letzter Zeit zu viel.
„Ich bin so eingespannt des Todes grade. Ich kann nicht. Du siehst ja wie das läuft. Ich komm´ nicht hinterher“, ist das eine kurze, aber irgendwie treffende Zitat aus einer Sprachnachricht von Abdul, das es hier in den Text schaffen wird. Über ihn schreiben kann ich trotzdem, das haben wir besprochen – deswegen beginne ich diesen Text mit persönlichen Eindrücken:
Wenn Abdul spricht, fühlt es sich immer irgendwie wichtig an. Das ist auf der Bühne so, das ist auch abseits der Bühne so. Mit Rasanz und einer stimmlichen Präsenz, die man erfahren muss, weil es seinen Worten eigentlich nur gerecht wird, wenn er selbst sie sagt. Und dabei ist es gleich – aber niemals nebensächlich – worum es grade geht. Ob es bloße, teilweise fast plumpe und absurde Comedy ist, Gedankengänge und Metaphern, denen man teilweise kaum folgen kann, die man aber trotzdem irgendwie nachfühlt, oder ob die Stimmung plötzlich kippt und Abdul messerscharf, bissig und im besten Sinne schmerzhaft fürs Publikum den Finger in politische und gesellschaftliche Wunden legt. Oft in Wunden, die er besser versteht als andere.
Abdul wird 1992 in Siegburg geboren und lebt sieben Jahre lang mit seiner Familie in einem Duisburger Asylheim. „Abdul liebt den Plattenbau so sehr, dass er ihn auf die Bühne holt“, heißt es in der Beschreibung seines bald kommenden Soloprogramms. Das ist treffend – ein Stück weit sicher auch romantisiert. Denn zu den Liebeserklärungen und den brachialen und irrwitzigen Geschichten kommen bei Abdul eben auch die nachdenklichen und auf eine erschütternde Art verletzlichen und bewegten Texte, bei denen er durch seine Art und seine Gestaltung von Sprache so lange das Lachen aus einem herausholt, bis es plötzlich schwer im Hals stecken bleibt. „Musik“ und „Schaf im Wolfspelz“ – Texte aus der Zeit um 2021, als Abdul Poetry Slam Vizemeister von NRW geworden ist – handeln von der Suche nach Identität, vom überall-fremd-fühlen, vom notwendigen Aneignen einer harten Schale und dem Versuch des bewussten wieder-Verlernens eben dieser. „Man ist niemand.“ So beschreibt Abdul seine durch die Umwelt zu ihm gespiegelte Selbstwahrnehmung, aus der Zeit als er quasi staatenlos seien Kindheit im Ruhrpott verbringt. Noch ein Zitat – dieses Mal aus einem Interview mit der SZ: „In Deutschland bist du staatenlos als Palästinenser. […] Als Palästinenser bist du ein Niemand. Und ein Niemand hat keine Werte. Du entwickelst eine Gleichgültigkeit.“ Am Ende wird es fast 30 Jahre dauern, bis Abdul die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Die meisten Menschen in seiner in Deutschland lebenden Familie warten bis heute. Wovon dagegen zumindest äußerlich nichts mehr zu spüren ist: Von der angesprochenen Gleichgültigkeit. Wenn es eine Sache gibt, die Abdul auszeichnet, dann ist es Haltung. Haltung, wenn er auf der Bühne steht. Haltung, wenn er in Interviews mit den größten Printmedien des Landes darüber spricht, wie er als Palästinenser Antisemitismus-Präventionsarbeit leistet. Haltung, wenn er sich immer wieder auf Bühnen, auf Demonstrationen und in Podcasts für mehr Zusammenhalt und Fokus unter Linken Aktivist*innen und die Überwindung von Grabenkämpfen ausspricht. Haltung, wenn er seine Reichweite in den sozialen Medien für Kritik an Sozial- und Asylpolitik und letztendlich immer auch Kapitalismuskritik nutzt. In kürzester Zeit ist Abdul Kader Chahin eine der präsentesten Stimmen in der deutschsprachigen Poetry Slam Szene geworden.
„Comedy und Fitna“ hat er sein Bühnenprogramm beschrieben. Das Wort Fitna kann man im Kontext des Islam mit „Schwere Prüfung“ übersetzen – Moment in denen der Glaube abfällt, Moment der Spaltung. Im Alltagsgebrauch passt eher „Aufruhe unter den Leuten stiften“ oder „Brandstiftung betreiben“. Und das trifft, weil es unmöglich ist Abdul zuzuhören, ohne neben dem Lachen auch zum Nachdenken und Diskutieren motiviert zu werden und sich im besten Sinne provoziert zu fühlen.
„Schrei mich nicht so an!“, kann man manchmal denken, wenn man hört, wie Abdul seine Statements zum Zeitgeschehen raushaut. Mal mit treffenderen, mal mit abwegigeren Metaphern. Mal eindeutig und überzeugend, manchmal kontroverser. Aber klar ist: Haltung braucht oft Laustärke und Laustärke ist nichts ohne Haltung. Und Abdul hat beides.
Wer Abdul Kader Chahin erleben möchte, kann das auf diversen Poetry Slam-Events, auch bei Kampf der Künste. Das Soloprogramm „Achte jetzt!“ geht 2024 auf Tour. Der Podcast Nymphe und Söhne mit Jean-Philippe Kindler und Hinterhaltnymphe erscheint wöchentlich.
Abdul auf Insta: @Abdulchahin
Geschrieben von Kolja Fach.
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft Winter 23/24
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