„Man muss sich an die Stille danach erstmal gewöhnen“ - Ein Veranstalter über das größte Slam-Festival des Jahres
Anfang November 2022 wurden die deutschsprachigen Meister*innenschaften im Poetry Slam in Wien ausgetragen. Zu dem gigantischen Slam-Festival sind über 300 Künstler*innen und Veranstaltende zusammengekommen. Die Vorbereitung wurde seit Jahren akribisch vom Verein FOMP Vienna vorbereitet. Kolja Fach hat sich mit Henrik Szanto aus dem Wiener Organisations-Komitee getroffen. Ein durchgefeiertes, aber zufriedenes Gespräch, während dem Henrik in regelmäßigen Abständen Menschen bitten muss zu warten, oder Anrufe wegdrückt. Ganz normaler Orga-Wahnsinn...
KOLJA Gehen wir erstmal zwei oder drei Jahre zurück an den Punkt, an dem ihr zugesagt habt, die Verantwortung für den Slam 22 zu übernehmen...
HENRIK Die Zusage war 2019 in Berlin. Also man muss wissen, dass das Ganze noch nie in Österreich war. Das war immer so ein Running Gag jedes Jahr. Und wir hatten hier lange Zeit Szene- und Veranstaltungs-Arbeit gemacht. Und als dann 2019 gefragt wurde, wann Wien das endlich macht, war es kein Witz mehr. Wir sind rausgegangen und haben drei Telefonate geführt und haben gesagt: „Ja, wir machen das!“
KOLJA Und dann habt ihr angefangen zu planen, kurz bevor Corona ein Thema wurde?
HENRIK Ja, damit begann die Planung, in einer vergleichsweise unschuldigen Zeit, in der alle noch davon ausgegangen sind, dass man die nächsten Jahre nicht im kulturellen Lockdown verbringt. Wir hatten das Glück, dass wir sehr früh die großen Locations an Bord hatten, also das Burgtheater, das Volkstheater... Wenn du es in Wien machst, dann muss das der Anspruch sein.
KOLJA Und wie haben sich diese großen Pläne dann über die folgenden Jahre durchhalten lassen?
HENRIK Naja, wir haben erstmal nur halbe Ticket-Kontingente rausgegeben und dann konnten wir nach hinten raus voll aufdrehen und es wurde dann auch richtig gut angenommen. Dazu hatten wir das Glück, dass die Stadt Wien sehr früh überzeugt war von dem Projekt und bereit war das zu fördern, die uns unabhängig gemacht von Sponsor*innen. Und Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich bereit erklärt hat, mitzuwirken und per Videobotschaft die Regeln zu erklären. Was die Außenwirkung und Repräsentation angeht, ist das ein großer Beitrag!
KOLJA Es war bisher auf jeden Fall schön zu sehen, wie das Publikum reagiert, wenn der Präsident plötzlich in den Saal projiziert wird und Worte wie „Beatboxing“ oder „Arschknapp“ in seiner Rede verwendet. All diese Events und die übergeordnete Planung – wie sehr haben die deine letzten drei Jahre bestimmt?
HENRIK Es gibt ja diesen Grundlärm, der immer mitschwingt. So eine mentale Grundbelastung. Also es gibt wöchentliche Treffen, man plant seinen Urlaub um alles herum und so. Also es hat keinen Tag gegeben, an dem man nicht daran gedacht hat, oder das Telefon geklingelt hat.
*genau in diesem Moment klingelt Henriks Handy*
KOLJA Du sprichst hier ja jetzt für eine ganze Gruppe. Wie geht es euch miteinander nach der Zeit?
HENRIK Wir sind ein großes Team aus zwölf Personen und die anderen elf machen einen fantastischen Job. Ich bin sehr stolz und zufrieden mit unserem Team und auch mit der Breite, wie unsere Kompetenzen verteilt sind. Für mich als ehemaliger Teil und ehemaliges Gründungsmitglied von FOMP ist das natürlich eine bittersüße Geschichte, weil meine Veranstaltertätigkeit hier mit dem Finale morgen endet.
KOLJA Stimmt, inzwischen lebst du in Hannover. Und morgen mit dem Finale bist du dann losgelöst von Wien. Mit Blick auf diesen letzten Abend morgen: Wie schaut ihr grade alle auf den bisherigen Verlauf des Festivals?
HENRIK Mein go to Satz ist: Nichts brennt, niemand blutet. Das ist natürlich ein bisschen polemisch.. Wir haben alle einen konstanten Stresspegel – aber der Grund, aus dem wir das hier machen, ist, dass wir uns alle endlich mal wiedersehen. Dass die Leute eine geile Zeit haben ist das Herzstück des ganzen Festivals. Das das war uns einfach wichtig, dass alle sich willkommen fühlen. Das Feedback, dass mich bisher erreicht hat, ist wohlwollend bis begeistert.
KOLJA Ich bin auch völlig begeistert und höre von den anderen dieselben Dinge wie du. Lass uns mal in die Zukunft springen. Du hast Samstagabend abmoderiert, bist kein Wiener-Veranstalter mehr, hast ein drei-Jahres Projekt beendet... Was dann?
HENRIK Erstmal bin ich ab heute in einer Woche weg auf einer Insel. Also es ist nicht so fancy wie es klingt: Norderney im November. Da werde ich dann… weiß ich nicht… ich werde glaub ich einfach nachdenklich. Eine Weile aufs Meer schauen und das alles mal passieren lassen. Die Sache ist ja: Man gewöhnt sich an das Rauschen, und wenn das weg ist, dann muss man sich erstmal an die Stille gewöhnen.
*Wieder in diesem Moment laufen Menschen an unseren Tisch und werden von Henrik vertröstet. Das Handy hatte auch schon wieder geklingelt*
Wie ist es denn für dich bisher, als Außenstehender?
KOLJA Drehen wir das Interview um? Okay: Ich habe so viel erlebt in so kurzer Zeit. Wien ist eine wunderschöne Stadt. Das ganze Setting hat was von einer Filmkulisse… man hat gemerkt, welche Ambitionen ihr hier hattet. Und dann sieht man Menschen wieder, die man in den letzten drei Jahren verpasst hat und denkt sich, dass jetzt wirklich wieder alles angefangen hat!
HENRIK Das freut mich sehr, genau das war unser Anspruch.
KOLJA Dann sehen wir uns in Zukunft im Norden. Ich danke dir für die Zeit!
HENRIK Danke, mein Lieber!
*Es folgt eine Umarmung, dann wollen wieder Leute was von Henrik*
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft 18.2 2022
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