DER SCHLECHTESTE TEXT DER WELT
- ambra53
- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Slambackgrounds von und mit Kolja Fach
Mir scheint, als wären die letzten Kolumnen, die wir in diesem Heft abgedruckt haben, zu konstruktiv gewesen, wo ich nun letzte Woche von unserer Chefredakteurin die Bitte bekam: „Kannst du mal darüber schreiben, wie ein richtig schlechter Poetry Slam-Text aussieht?“ Und diese Anfrage hat natürlich eine gewisse Fallhöhe, weil man den Menschen, ja nicht auf die Füße treten will. Wobei…
1) Das Publikum erpressen
Es ist ein ebenso moralisch verwerfliches, wie durchschaubares und wohlfeiles Mittel, um sich im Angesicht der Selbsterkenntnis der eigenen mangelnden literarischen Schöpfungskraft noch ein paar letzte Jurypunkte aus dem Publikum zu melken: Man greift ein gesellschaftliches Thema von hoher Relevanz auf, aber anstatt es respektvoll und konstruktiv zu behandeln, im Bewusstsein über die Verantwortung, die man als Mensch mit Publikum solchen Themen gegenüber notwendiger Weise hat, zwingt man es beiläufig und banal irgendwo in den Text hinein. „...blablablabla und außerdem finde ich Ungerechtigkeit scheiße blablabla…“ – der Subtext hier ist: Wenn du dich nicht mit Ungerechtigkeit gemein machen willst, gib mir 10 Punkte, du Arsch. Wichtige Themen zu instrumentalisieren, anstatt ihnen angemessene künstlerische Auseinandersetzung zukommen zu lassen, ist eine zuverlässige Methode, um sich bei erfahrenem Publikum und den Kolleg*innen unbeliebt zu machen.
2) Die Anmoderation, die so noch nie jemand gehört hat
„Ich habe einen Text geschrieben“ – krass, ich hatte ganz vergessen, warum wir hier sind.
„Und der Text hat noch keinen Titel“ – ist ok, dann fang gerne einfach an.
„Aber vielleicht habt ihr ja einen Vorschlag“ – nein.
„Ich hab´ den grade erst spontan im Backstage geschrieben“ – Ohje.
„Und der Text, der geht so…“ – Na, jetzt aber!
3) Die banale Song-Referenz
Gehört oft in die Anmoderation: „Also, es gibt da so ein Lied, das mir viel bedeutet. Und das kommt im Text auch öfters mal vor. Deswegen…weil einige das bestimmt nicht kennen singe ich das kurz an. Die Band heißt äh… Oasis. Und das Lied heißt Wonder…“
ICH SCHREIE, ICH WEINE, ICH ERBRECHE MICH LEISE IN MEINEN MUND.
VIER!
Den Text in Sinnabschnitte, Phasen, Äras oder Schaffenszyklen einteilen und diese
jeweils laut ankündigen.
5) Rythm is a dancer (der wie Fernsehgarten-Publikum klatscht)
HÄUfig WERde ICHge FRAGT waRUM klingt SLAM denn IMmer GLEICHna
TÜRlich IST das NICHT der FALL doch MANCHmal DENke ich ich WEIßwa
RUM das IMmer WIEder THEma IST
6) Kettenwörter und Co.
Apfelbaumeisternenwartelefon… Man kennt es.
Es ist nicht besonders originell, aber kommt in Variationen immer wieder vor.
Entweder um Neologismen zu bilden, die auch gut auf ein Deutschpopalbum
gepasst hätten (konfettibunte Marmeladenglasmenmomente – yikes), oder um
die Tiefe der eigenen Gedanken, ja den Schmerz einer Generation,
dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass man sich daran abarbeitet, dass doch
tatsächlich dieselben zwei Buchstaben in zwei verschiedenen Wörtern
vorkommen können.
„Telefon…TElefon…telefON…
telef – ON, NIEMALS OFF, ICH BIN DURCHGEHEND ERREICHBAR
telef – ON-Line DEN GANZEN TAG!
Telef-ONE NIGHT STAND,
WIR SIND VERBUNDEN, DOCH NIE VERBINDLICH – ICH… ICH…“
Ich bin mir selbst grade sehr sehr unagenehm…
PS: Dieser Text ist ganz übler purer Zynismus. Mein Mathelehrer hat immer gesagt: „Der Taschenrechner ist nur so klug, wie der, der ihn bedient.“ (Mein Taschenrechner war sehr sehr dumm…)
Soll heißen: Jedes Stilmittel ist natürlich so schön und kunstvoll, wie man es neu und kreativ zu gebrauchen weiß. Und es gibt offensichtlicher Weise fantastische Texte mit einfachem Rhythmus, Gesangseinlagen, nervöser Anmoderation, Schachtelwörtern, Silbensezierungen, Sinnabschnitten und Wortneuschöpfungen. Und ich freue mich auf jeden einzelnen davon!
PPS: Aber wenn du einen Erpressertext schreibst, bist du ein Arsch!

KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei sowie freiberuflich für verschiedenen Projekte.
Erschienen in Programmheft 01/2025