Ohne Optimismus gäbe es genau null Sebastian!
Wenn man sich mit Poetry Slam im deutschsprachigen Raum beschäftigt, kommt man um den Namen Sebastian 23 wahrscheinlich am wenigsten herum. Der gebürtige Duisburger tritt seit dem Jahr 2000 bei Poetry Slams auf, feiert also gerade Jubiläum.
23 Jahre Sebastian 23.
In diesen 23 Jahren Sebastian 23 wurden elf Bücher geschrieben, sechs Soloprogramme entwickelt, diverse Kleinkunstpreise und weitere Auszeichnungen gewonnen und sich stetig verändert und ausprobiert. Sebastian Rabsahl, wie er eigentlich heißt, ist heute Satiriker, linker Aktivist, Liedermacher, hat Songs für Deichkind und Clueso geschrieben, eine gemeinnützige Veranstaltungsfirma für Poetry Slam-Events gegründet und vor allem: Trotz aller erfolgreichen Solo-Projekte nie den Anschluss an die Slam-Szene und seine künstlerischen Wurzeln aufgegeben. Kolja Fach hat den „viel zu gut gelaunten Typen in dem bunten Pullover, der aussieht, als wäre ein bekifftes Chamäleon gegen einen Hofnarren gestolpert“ (Sebastians Worte!) mit acht Fragen via Chat auf einer Slam-Tour erreicht.
Kolja Wir gehen direkt rein: Was sind für dich die Hauptunterschiede zwischen Poetry Slam in der Entstehungszeit und heute? Vermisst du etwas aus der Anfangszeit?
Sebastian Man kann das tatsächlich schwer vergleichen. Die Szene war vor 23 Jahren
winzig, sehr experimentell, ohne Budget und wie die CSU: Sie bestand
fast ausschließlich aus Männern. Das hat sich heute zum Glück alles
geändert: Die Szene ist diverser, professioneller, sehr groß und gut
vernetzt. Das Einzige, was ich manchmal ein bisschen vermisse, ist das
Schräge, Experimentelle und Absurde. Dafür gibt es heute aber auch
sehr viel mehr politische und kritische Beiträge, was ich sehr mag.
Kolja Hast du eine Lieblingsanekdote aus dieser Zeit der winzigen, experimentellen Szene?
Sebastian Zu meinem ersten auswärtigen Auftritt bin ich damals von Freiburg nach
Stuttgart getrampt, weil es nicht mal Fahrtkosten gab. Mitgenommen
wurde ich von einem Reisebus voller junger Christ*innen, die zu
einem Camp unterwegs waren. Damit sie mich mitnahmen,
musste ich über die Buslautsprecher ein Gedicht freestylen zu
den Worten "Duschvohang, Jesus und Edmund Stoiber".
Als ich fertig war, haben sie gesagt, dass sie jetzt erstmal in Ruhe
beten wollen. Zum Glück lief es dann am Abend beim
Slam in der Rosenau besser.
Kolja Insgesamt lief es für dich gigantisch seit diesem ersten Mal. Viele Menschen haben mehr Distanz zur Slam-Szene eingenommen, nachdem sie als Solokünstler*innen und Autor*innen Erfolg hatten. Du warst stets sehr aktiv innerhalb der Szene. Warum war für dich klar, dass du weiter an und mit diesem Format arbeiten willst?
Sebastian Für mich hat sich die Frage nie gestellt. Ich bin hier aufgewachsen. Ich
brenn doch auch nicht mein Elternhaus ab, um in einem Interview cool zu
wirken. Ich stehe dabei der Szene nicht unkritisch gegenüber, es gab und
gibt viel zu verändern. Und es gibt viele engagierte Menschen, die daran
mit unglaublicher Energie arbeiten. Ich schaue lieber in diese Richtung.
Kolja Vor allem in der Nachwuchsarbeit hat die Szene über die letzten Jahre wahnsinnig zugelegt. Was wäre dein Nummer 1 Ratschlag an Newcomer*innen?
Sebastian Schreibt, soviel ihr könnt. Auch, wenn euch nichts einfällt. Und
probiert dabei möglichst alle Arten von Texten aus.
Kolja Wer dich nicht von der Bühne kennt, kennt dich vielleicht von deinen Tweets – die werden regelmäßig überall im Netz zitiert und geteilt und sind sehr aktivistisch. Wie gehst du mit Hass auf dein Engagement um?
Sebastian Während der Lockdowns habe ich angefangen, viele politische und
kritische Tweets zu schreiben. Die gefallen nicht allen, das war und ist
auch nie das Ziel. Hass im Netz halte ich ganz gut aus, weil ich weiß:
Wenn ich nicht nur in meiner Bubble gesehen werde, sondern auch die
Hater und Trolle sich melden, dann erreiche ich mit meinen Inhalten auch
viele Menschen dazwischen. Beschimpfungen im Umfeld von Auftritten (etwa
am Büchertisch) sind unangenehmer, aber seltener. Und noch seltener sind
zum Glück konkrete Bedrohungen und Todeswünsche. Die fühlen sich nicht
schön an, aber da muss man halt durch den Tod in das Leben rennen, wie
Ana Brun im Titelsong zu "Astrid" so schön singt. Ich habe eine Haltung
und eine Reichweite und das bedeutet für mich Verantwortung. Also lasse
ich mich nicht beirren.
Kolja Bei dieser Flut an negativen Themen, mit denen du dich künstlerisch und aktivistisch auseinandersetzt: Wie kannst du abschalten und würdest du sagen, dass du Optimist bist?
Sebastian Ich bin auf jeden Fall Optimist. Ohne eine Form von Optimismus und
Hoffnung gäbe es keinen Aktivismus, kaum Kunst und genau null Sebastian.
Abschalten fällt mir oft schwer, funktioniert am besten mit Musik und Meditation.
Kolja Im Moment fährst du durch Österreich und die Schweiz und slammst. Auf welches bevorstehende Projekt freust du dich 2023 ansonsten besonders?
Sebastian Was Slam betrifft, freue ich mich natürlich am meisten auf den SLAM23,
die Deutschsprachigen Slam-Meister*innenschaften, die dieses Jahr in
Bochum sind. Das wird ein großes und lang erhofftes Highlight.
Künstlerisch freue ich mich sehr auf die Arbeit an meinem nächsten Buch,
das passenderweise von Optimismus handelt wird und nächstes Jahr
erscheint. Ich freue mich, im Herbst auf Tour alte und neue Freund*innen
wiederzusehen. Und aktivistisch schöpfe ich große Kraft daraus, mit den
engagierten Aktivist*innen von Fridays For Future, Greenpeace,
LeaveNoOneBehind, aber auch der Letzten Generation und vielen weiteren
zu arbeiten. Es ist viel zu tun, aber auch viel Grund zur Freude.
Kolja Und es sind unglaublich viele Bereiche, die sich da in deiner Arbeit verschränken. Gibt es nach 23 Jahren Karriere noch Dinge, die du noch nie gemacht hast, aber machen willst?
Sebastian Zum Glück gibt es da noch sehr viel, denn ich liebe es, neue Dinge zu
machen. Das ist die ganze Basis meiner Kreativität. Erfolgsrezepte sind
nicht mein Ding, ich experimentiere lieber. Dieses Jahr hab ich zB das
erste Mal als bildender Künstler ausgestellt, hab Songs für Clueso und
Deichkind geschrieben, bin mit Greta Thunberg aufgetreten und habe ein
sehr erfolgloses Drehbuch für eine SitCom entwickelt. Ich bin mir
sicher, dass Chaos hat noch viel Neues für mich auf Lager. Und ich lasse
mich gerne darauf ein.
Kolja Und wir hören und schauen gerne dabei zu! Danke dir für die Zeit.
Sebastian Ich wünsch´ dir einen schönen Sommer!
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft 31.07.2023
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