Plötzlich viral
Das Video zu Leah Weigands Text „Ungepflegt“ geht über unsere Social-Kanäle POETRY SLAM TV viral. In ihrem fünf-Minuten-Aufritt beschreibt die Autorin und gelernte Pflegerin, die inzwischen Medizin studiert, was den Pflegeberuf für sie so wertvoll macht und mit welchen Misständen sie und Kolleg*innen tagtäglich zu kämpfen haben. Das riesige Echo auf den Text führt sie schließlich bis in TV-Talkshows. Im Gespräch mit Kolja Fach erzählt Leah vom Gefühl über Nacht Millionen Klicks zu sammeln und warum sie trotz des Erfolgs nicht die „Pflege- und Medizin-Autorin“ werden will.
KOLJA Leah, als der Text veröffentlicht wurde war er ja schon etwas älter. Kannst du erzählen, wann und warum du den Text ursprünglich mal geschrieben hast und wie dann der Weg bis zu dem Video war?
LEAH 2021 habe ich den geschrieben, im Herbst. Das war so zum Ende meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Damals war der Text noch ziemlich anders. Mit mehr Insidern und mehr auf das Azubi-Dasein bezogen. Und dann habe ich ihn Anfang 2022 so umgeschrieben, dass er auch generell mit auf alle Bühnen kommen kann. Das Video von diesem speziellen Auftritt ist dann im Mai `22 entstanden, die Veröffentlichung war aber erst im letzten Dezember.
KOLJA Was war dann der Moment, in dem du gemerkt hast, dass das Video eine so starke Dynamik entwickelt?
LEAH Angefangen hatte das komischerweise auf Facebook, wo ich wie jeder normale Mensch gar nicht mehr rumhänge. Aber irgendwann hat mir jemand geschrieben, dass das Video da so ab geht. Und die ersten paar tausend Klicks fand ich schon unglaublich krass. Irgendwann waren es Millionen und dann ist das zu YouTube und Instagram rüber geschwappt.
KOLJA Stichwort rüber geschwappt: Du hast unglaublich viele positive Kommentare bekommen, aber auch da ist irgendwann der Damm gebrochen und Menschen haben den direkten Kontakt zu dir gesucht. Wie war das?
LEAH Am Anfang habe ich die Kommentare noch mitgelesen und fand da schon krass, dass viele Menschen mich ganz direkt ansprechen, also quasi persönliche Nachrichten unter das Video schreiben. Und dann kamen irgendwann die Direktnachrichten über Facebook und Instagram, Mails über meine Website und das waren wirklich intensive und persönliche Geschichten. Von Pflegekräften, die teilweise im Burnout gelandet sind. Das war gar nicht immer einfach damit umzugehen und irgendwann auch zu merken, dass man einfach nicht auf alles antworten kann. Das hat mich teilweise richtig überfordert.
KOLJA Welche Rückmeldungen haben dich denn besonders gefreut?
LEAH Ich finde eh immer, dass das Krasseste ist, wenn Leute nach einem Auftritt sagen “Boah, du hast da Worte für etwas gefunden, was ich nicht ausdrücken konnte. Du hast das ausgesprochen, was ich fühle.” Und so Sätze kamen super oft. Also Leute, die gesagt haben, du sprichst aus der Seele, du gibst eine Stimme. Das war schon sehr bewegend.
KOLJA Du bist dadurch dann ja auch nicht mehr nur als gute Autorin wahrgenommen worden, sondern wurdest in den Medien auch konkret zur Sachebene, also der Situation von Pflegekräften in Deutschland, befragt. Die Resonanz ging also sehr über den Text hinaus, oder?
LEAH Ja, das finde ich auch echt gar nicht so leicht und ich weiß auch immer noch nicht ganz, wie ich damit umgehen soll. Es gibt sehr viele Interview-Anfragen und ich komme in eine Situation, in der ich politische Statements abgeben soll. Ich bin eigentlich eine Sprachkünstlerin, die dieses Thema eben aufgearbeitet hat, aber ich bin keine Aktivistin oder politische Sprecherin, weil ich dazu auch zu wenig im Thema drin bin. Ich habe jetzt Anfragen für Diskussionen, Gespräche, Runden mit Politikern, wozu ich mich gar nicht in der Lage fühle, weil ich überhaupt nicht genug im weiß, was in dem Bereich in den letzten Jahren politisch entschieden wurde, was schon passiert ist und wer für was zuständig ist. Ich konnte mit meiner Performance einen Anstoß geben, aber die Diskussion sollten eigentlich schon andere Leute führen.
KOLJA Ok also, das heißt, du siehst dich quasi in der in der Rolle der Person, die ihre eigenen Erfahrungen verbalisieren kann und die Leuten emotionalen Zugang dazu verschaffen kann, willst dann aber lieber ein Stück zurückgehen? Oder kannst du dir vorstellen, selbst mehr in die Richtung Politik zu schlagen in Zukunft?
LEAH Nee, ich glaub da fühl ich mich nicht so ganz in der Position und auch nicht in der Lage, weil ich ja gar nicht mehr in der Pflege arbeite, aktuell. Ich gebe wirklich gerne diesen Anstoß und eröffnet vielleicht so einen Raum, gebe den emotionalen Zugang und dann trete ich gerne einen Schritt zurück.
KOLJA Und von den Leuten, die eben genau in diesem Bereich politisch aktiv sind, kamen da Rückmeldungen zum Text?
LEAH Ja, bisher sehr positive Rückmeldungen. Ich habe ja auch in der Talkshow 3nach9 ein paar Ideen geteilt, was man meiner Meinung nach verändern könnte, und auch dazu gab es zum Glück sehr positives Feedback. Ich war sehr froh, dass die Dinge, die da kommuniziert habe auch konform mit den Leuten sind, die ganz tief im Thema stecken.
KOLJA Kannst du das nochmal benennen, was derzeit deine Wünsche für den Pflegeberuf sind?
LEAH Ich hoffe einfach, dass die Pflege in Zukunft nicht mehr als Hilfsberuf wahrgenommen wird, der irgendwie zu einer niederen Arbeit gehört, sondern wirklich als Profession, die den gleichen Stellenwert hat und genauso wichtig ist, wie das ärztliche Personal zum Beispiel. Das ist andere Arbeit, aber nicht weniger bedeutungsvoll. Und dass sich die Bedingungen so verändern, dass Pflege wirklich wieder pflegen kann. Dass man so arbeiten kann, wie man es gelernt hat und wie man auch den Anspruch an sich selbst hat. Also umfassend zu Pflegen und nicht unter Zeitdruck das Nötigste zu machen.
KOLJA Die Talkshow-Einladung zu 3nach9 mit dem Text war dann ja einer der großen Effekte für dich als Künstlerin - Was sind die nächsten Stationen, die du mit dem Thema jetzt anlaufen wirst?
LEAH Erstmal bin ich jetzt sämtlichen Pflege-Kongressen und -Konferenzen für dieses Jahr eingeladen. Das ist schon erstmal cool und auch an schönen Orten teils in Österreich und der Schweiz. Aber ich habe auch große Lust auf Auftritte außerhalb dieses Themenbereiches. Es gibt jetzt auch Anfragen von Verlagen, die gerne ein Buch mit mir schreiben würden. Das finde ich echt schön, weil das einer meiner nächsten Wünsche für ein Projekt war. Und da hoffe ich jetzt, dass man auf einen gemeinsamen Nenner kommt, weil ich glaube, dass die grade eher die Vorstellung haben, ich schreibe ein medizinisches Buch, oder ein Pflegebuch. Ich würde mich aber gerne mit diversen Themen befassen. Es gibt eben noch sehr viele andere Texte von mir und ich will nicht nur für einen Inhalt wahrgenommen werden, sondern eben als Künstlerin, die Themen an sich in eine schöne Form bringen will.
KOLJA Leah, vielen Dank für das Gespräch.
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft 18.2 2023
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