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Über das Bewerten von Texten und das Aneignen von Identitäts-Themen


Die Frage ist nicht, worüber wir reden, sondern wie wir es tun.


Slambackgrounds von Kolja Fach mit Abdul Kader Chahin




Nach einer kürzlich von Kampf der Künste ausgerichteten Slam-Veranstaltung in Hamburg, kam drei junge Menschen aus dem Publikum auf die Veranstaltenden und einen der Auftretenden zu, um sich darüber zu beschweren, dass die Veranstaltung in ihren Augen zutiefst rassistisch gewesen sei. Ihre Begründung: Auf der Veranstaltung hatte Abdul Kader Chahin als einer der Auftretenden und als Mensch, der selbst schon Rassimuserfahrungen gemacht hat, einen antirassistischen Text vorgetragen. Die Resonanz war verdientermaßen überragend, die Punkte hoch – gewonnen hat er aber nicht. Dieser Umstand (also: jemand sagt etwas gegen Rassismus und gewinnt dann damit nicht) war für die drei (übrigens weißen) Leute der Grund die Veranstaltung, alle Beteiligten und das Publikum für rassistisch zu erklären. Außerdem hätte niemand der anderen Auftretenden erwähnt, dass sie zumindest auch gegen Rassismus sind. Uff!

So skurril sich die Debatte an dem Abend für uns angefühlt hat, so birgt sie in sich aber doch zwei interessante Fragen, über die die Beteiligten an dem Abend weiter diskutiert haben. 1) Welche Rolle spielt der Faktor der „Message“ eines Textes bei seiner Bewertung und wie unabhängig ist dieser Faktor vom Rest des Textes und der Performance? 2) Sowohl als Text-Autor*in, als auch in Diskursen generell – wie geht man achtsam mit der Identität von Menschen um, die von Rassismus oder anderen Marginalisierungsformen betroffen sind? Es folgt: Ein kurzer Annäherungsversuch.


Was bewerten wir hier?

Zur ersten Frage zunächst einige grundsätzliche Dinge, die man über Poetry Slam-Veranstaltungen wissen sollte: Die auftretenden Menschen wählen ihre Texte für den Abend selbst aus, nicht immer wissen alle vorher, wer welchen Text lesen wird. Die Startreihenfolge des Wettbewerbs wird zufällig gelost. Genauso zufällig wird im Publikum eine Jury aus freiwilligen Menschen gewählt, dabei wird versucht die Jury divers zu besetzen. Die Dramaturgie eines Abends ist also sowohl was das inhaltliche Gefälle zwischen Texten angeht als auch bezogen auf die Jurywertung immer unterschiedlich und sehr randomisiert. Wenn nach einem ernsten lyrischen Text also jemand mit Comedy auftritt, dann ist das kein bewusster Bruch oder Kontrast – dann wurde einfach eine Person, die Lyrik schreibt neben eine Person gelost, die Comedy macht. Die Jury wiederum bewertet die Auftritte subjektiv danach, von welchem sie sich am meisten angesprochen gefühlt hat. Dabei verschränken sich viele Faktoren: Die persönliche Nähe zum Thema, die Zustimmung zur Message eines Textes und im besten Fall allem voran: Die Qualität von Literatur und Performance. Es ist also ein Trugschluss anzunehmen, dass jemand, die*der einen politischen Text niedriger bewertet als einen niederschwelligen aber lyrisch hervorragenden Text, dadurch der politischen Meinung des ersteren widersprechen möchte. Möglich ist das natürlich und gehört dann zu den Risiken eines Wettbewerbs mit zufälliger Jury. Dennoch: Erstmal hieße so eine Wertung wie hier im Beispiel einfach nur: Hey, die Person hatte heute wohl mehr Lust auf ausgefeilte Lyrik.


Der Text fördert das Thema, nicht umgekehrt

Dreht man die Argumentation um, wird es noch offensichtlicher. Denn würde man eine einfache moralische Haltung („Ich bin für/gegen XY“) zum alleinigen Bewertungskriterium erheben, würde man zulassen, dass sensible politische und gesellschaftliche Themen von Autor*innen als Punktegarant im Wettbewerb instrumentalisiert werden könnten, unabhängig von der Textqualität.

In einem späteren Austausch über besagte Debatte an dem Abend schreibt Abdul mir:

„Wird ein Text nur für die Themenwahl bewertet (gut oder schlecht) wird die Kunst hinter dem Text geschmälert. Ich will nicht das Menschen mir eine gute Bewertung geben, nur weil ich Rassismus angesprochen habe. Ich möchte eher, dass Menschen es feiern oder halt nicht feiern WIE ich das Thema behandelt habe. In dem Fall: über einen Spoken Word Text auf persönlicher Ebene. Wer das Konzept verstanden hat, bewertet die Kunst und das Thema. Nie etwas einzelnes. Natürlich wird's die ein oder andere Person geben, die es nervt das ein Abdul damit ankommt. Aber mir ist es eine große Freude diese Person zu nerven, dafür eine schlechte Bewertung zu bekommen ist überhaupt kein Problem.“


Eine Frage der Identität

Die zweite Frage, die die Debatte an besagtem Abend ins Licht gerückt hatte, war:

Wie geht man achtsam mit der Identität und den Erfahrungen betroffener Menschen um? Dazu vorweg eine eigentlich simple Faustregel: Wenn du nicht betroffen bist – maß dir nicht einfach an, zu denken, dass du weißt, wie es Betroffenen geht. Und nimm dir nicht den Raum, den Betroffene für ihre Anliegen haben könnten.

In der Slam-Szene wurde in der Vergangenheit häufig das Stilmittel des lyrischen Ichs diskutiert. Die Person, die einen Text schreibt und das Ich im Text müssen keinesfalls Deckungsgleich sein. Völlig richtig! Jedoch: Wenn ein weißer Mensch ohne Rassismuserfahrungen mit einem Text auf der Bühne steht, in dem aus der Ich-Perspektive erzählt wird, wie sich eine Person fühlt, die rassistisch diskriminiert wird, ist das problematisch und anmaßend. Sobald es möglich ist Betroffenen Gehör zu schenken, oder zu verschaffen, sollte dies passieren.

Alle nicht betroffenen Menschen, die sich verbünden möchten, sind dadurch nicht vom Diskurs ausgeschlossen, sie gehören aber in die zweite Reihe. Das gilt für Menschen, die mit meinungsstarken Texten auf die Bühne gehen genauso wie den einleitend beschriebenen drei White-Saviours, die ohne Abdul beschlossen haben, dass er verteidigt werden muss.

Abdul schreibt dazu:Sie haben mich mit dem Eingreifen bei meinen Künstlerfreunden gezwungen tätig zu werden. […] Ich musste also das Gespräch mit ihnen suchen, obwohl ich nach einer Show nicht gerne über solche, eher tiefgründigen gesellschaftlichen Themen spreche. Ich wurde u.a. bevormundet und gesilenced. Ich war nicht in der Ohnmachtsposition wie die jungen Leute annahmen. Sie hätten mich auch vorher fragen können.“


KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer


und Satiriker auf den Bühnen des Landes -


als Journalist bewegt er sich immer zwischen


Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.


So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten


als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.


 

Erschienen in Programmheft 18.1 August - Dezember 2022



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