Poetry Slam: Kulturerbe der Menschheit
In weniger als dreißig Jahren hat sich mit Poetry Slams eine vollkommen neue Veranstaltungsart im deutschsprachigen Raum etabliert, aus der sich wiederum wiedererkennbare künstlerische Formen und Ästhetiken von Literatur und der Präsentation von Literatur entwickelt haben. Genau dafür hat die UNESCO die vergleichsweise junge Szene vor einigen Jahren ausgezeichnet. Kolja Fach erklärt…
„Wertschätzung und Anerkennung überlieferten Wissens und Könnens“ war das erklärte Ziel, als Deutschland 2013 dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beitrat. Heißt vereinfacht: Menschen singen, tanzen, feiern, erzählen, kochen und schaffen auf andere nicht gegenständliche Weisen Kultur. Übrig bleibt am Ende, wenn der kulturelle Akt passiert ist, nichts? Doch! Was bleibt ist nicht haptisch – Essen wird verzehrt, Worte enden, Musik verklingt, Applaus verhallt. Am Ende bleibt kein Monument, das man anfassen, kein Gelände, das man durchschreiten und kein Gebäude, das man betreten könnte. Und trotzdem bleibt viel. Gefühl. Genuss. Brauchtum. Wissen. Fähigkeiten. Sprich: Immaterielles Kulturerbe. Kultur, die gelebt werden muss, um zu existieren.
Die Liste der Immateriellen Kulturerben in Deutschland ist ebenso lang, wie auf den ersten Blick skurril, denn neben weitläufiger bekannten Kulturtechniken, wie zum Beispiel dem Buchbindehandwerk und (natürlich) der deutschen Brotkultur, werden auch das Ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen (das wir hier im Detail nicht erläutern) und die Anlage von Flechthecken aufgeführt. Und – seit 2016 – der Poetry Slam im deutschsprachigen Raum.
Die Aufnahme auf die Liste ist nicht nur dahingehend bedeutend, dass sie die Veranstaltungsform als besonders erhaltens- und schützenswerte Kulturtechnik ehrt, sondern auch zeigt, welchen festen Platz sich die Slam-Kultur in der deutschen Kunstlandschaft gesichert hat. Als mit knapp mehr als zwei Jahrzehnten die noch relativ junge Szene, andererseits aber auch als zeitgenössischer Aufguss einer Kulturtechnik, die Jahrhunderte überdauert hat. Denn die Gestaltung der Wettbewerbe „knüpft […] an die hohe Kunst der antiken und mittelalterlichen Tradition der Dichter- und Rednerwettstreite an“ schreibt die UNESCO auf ihrer Website.
Importiert wurde die Poetry Slam-Kultur aus den USA, wo sie schon in den späten 1980er-Jahren etabliert wurde. Die Dimension mit der die Kunstform den deutschsprachigen Raum eroberte sucht jedoch ihres Gleichen. Fast jede Stadt hat ein Slam-Event vorzuweisen, regionale Veranstaltende bespielen immer flächendeckender den ländlichen Raum, die Publikumszahlen steigen und auch wenn sich die Szene (zu Recht) des Vorwurfs verwehrt, Slam-Texte klängen stets gleich oder ähnlich (was Unsinn ist), so ist mit dem Überbegriff „Spoken Word (Poetry)“ dennoch ein neues breites Spektrum an Spielformen von und mit Literatur, beeinflusst durch die Regularien des Wettbewerbformats, entstanden.
Poetry Slam war also neu für die Kleinkunstwelt, denkt gleichzeitig traditionelle Kunstformen in die Neuzeit, motiviert neue Formen des Schreibens und Vortragens von Bühnenliteratur und ist in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein unglaublich erfolgreich und professionalisiert geworden.
Die Aufnahme auf die UNESCO-Liste, die Auszeichnung als Immaterielles Kulturerbe also, honoriert diese Umstände. Und blickt man in die Szene, auf die Nachwuchsarbeit, die geleistet wird, auf die Kritik und Selbstkritik, die geübt wird und die Erschließung neuer Räume und Orte für Slam, die tagtäglich stattfindet, muss man feststellen:
Die Szene arbeitet unaufhörlich und aus sich heraus an ihrem Erhalt und ihrer Überlieferung.
Poetry Slam ist Kunst, die im Moment gelebt und erlebt werden muss, um zu sein.
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft 31.07.2023
Comments